Paul Lendvai über Russland: Handel mit Wandel ist Illusion.

Bei der Abschlussveranstaltung des 7. Medien.Mittelpunkt Ausseerland sprach Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon mit Publizistenlegende Paul Lendvai über „geschminkte Diktaturen" und China als Vorlage für autoritäre Herrscher.

„Natürlich sollten wir Geschäfte mit Russland machen. Aber nicht um jeden Preis." Im Gespräch mit Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon plädiert der renommierte Publizist Paul Lendvai für eine wertebasierte europäische Außenpolitik, die rote Linien festlege und sich nicht nur an wirtschaftlichen Überlegungen orientiert. „Das Prinzip 'Handel mit Wandel' hat sich als Illusion erwiesen. Sanktionen und Kreditsperren können die russische Außenpolitik jedoch entscheidend beeinflussen", zeigt sich Lendvai zuversichtlich.

Anders als EU-Budgetkommissar Johannes Hahn am Vortag, empfindet er die Systemkonkurrenz zwischen dem demokratisch regierten Europa und dem autoritär verfassten Russland aufgrund der kulturellen Nähe drängender als den Konflikt mit China. China gebe aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs aber inzwischen eine bessere Vorlage für autoritäre Herrscher ab: „Das System in Russland ist eine wirtschaftliche und soziale Bankrotterklärung. Wer sich nach einer Diktatur sehnt, soll nach China blicken", meint Lendvai etwas sarkastisch.

Ungarn – (noch) keine vollwertige Diktatur

Generell fordert der Publizist eine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Arten von Diktaturen. Ungarn bezeichnet er etwa als „geschminkte Diktatur": Dort sei, so der Autor, eine ganze Schminkmannschaft am Werk. Solange die Regierung durch Wahlen aus dem Amt gebracht werden könne und Reise- und Demonstrationsfreiheit gegeben ist, könne man noch nicht von einer vollwertigen Diktatur sprechen, so Lendvai und: „Orbán könnte aber durchaus die Glacéhandschuhe ablegen, wenn seine Macht in Gefahr sein sollte."

Die Medienfreiheit in Ungarn bewertet er vor allem im historischen Vergleich negativ: „In mancher Hinsicht war die gesellschaftliche Atmosphäre in der Spätphase der Diktatur in den 1980er-Jahren besser als im heutigen Ungarn. Im Fernsehen und in den Zeitungen wurde offener diskutiert." Heute würden Zeitungen entweder eingestellt oder von Orbán-nahen Geschäftsleuten einfach aufgekauft. „Es ist für junge Journalist*innen kaum mehr möglich, frei zu schreiben. Ich würde heute in Ungarn niemandem zu diesem Beruf raten."

Unabhängiger Journalismus als Bedingung für Demokratie

 

Bezüglich des Journalismus in Österreich zeigt sich Lendvai optimistisch. Als Journalist und als Gründer der 47 Jahre lang erschienenen „Europäischen Rundschau" spricht er aus Erfahrung: „Wir werden weiterhin schreiben und man wird uns weiter beschimpfen. Aber ohne verantwortungsvollen Journalismus kann liberale Demokratie nicht existieren." Die Unabhängigkeit sei zentral für den Journalismus. Dass in Österreich eine Orbánisierung der Medienlandschaft drohe, sieht er jedenfalls nicht so: „Ich kann in Österreich noch ruhig schlafen."

 

Zum Pressebereich

AutorIn: Medienakademie
Kategorie: Artikel
Datum: 14.06.2021

Anschrift

Tourismusverband Ausseerland-Salzkammergut
Bahnhofstraße 132
8990 Bad Aussee
+43 3622 54040 0

Ausseerland

Heimat großer Künstler, alter Traditionen und wunderbarer Naturlandschaften: Das Ausseerland-Salzkammergut ist nicht umsonst ein beliebtes Urlaubsreiseziel. mehr dazu

Medienmittelpunkt Ausseerland
DatenschutzImpressumMedienakademie

powered by webEdition CMS